Der Begriff „Paywall“ beinhaltet ja bereits eine gewisse Brutalität. Hinter dem Begriff „Paywall Optimierung“ steckt aus Sicht eines Conversion Optimierers ein enormes Potenzial. Warum? Der Durchschnitts-Surfer knallt dort – auf der Suche nach News, Hintergründen und Informationen – in voller Geschwindigkeit gegen eine Wand, die ihn mit „Stopp – Du kommst hier nicht rein!“ anschreit. Dabei könnte alles so viel einfacher und besser sein…doch Schritt für Schritt:
Das grundsätzliche Problem der Paywall Optimierung

Es gibt – wie in jeder Branche – auch bei Verlagen eine radikal andere Sichtweise auf das Thema Paywall. Der Verlag sieht schwindende Abonnenten-Zahlen im Print-Bereich (alleine die Top 5 der größten Verlage büßten in 2013 zwischen 6% und 13% ihrer Kunden im Print-Geschäft ein) und steuert massiv in Form digitaler Angebote entgegen. Die Angebote sind aufwändig und teuer, die dahinter stehende Politik innerhalb der Verlage kompliziert.
Die Sichtweise der Verlage ist das Produkt einer Umsatz-Maximierung und lässt sich mit einfachen Worten widerspiegeln:
„Wir wollen digitale Abonnenten“
(Was soviel wie „Wir wollen Geld für unsere kostspieligen Inhalte“ heißt)
Die Sichtweise der Nutzer folgt einem ganz anderen Prinzip. Als Internet-User ist man es gewohnt, viele Dinge doch irgendwo irgendwie kostenlos zu bekommen. Ich habe auf meinem Handy zum Beispiel eine kostenlose Tagesschau-App (finanziert durch meine GEZ-Beiträge) und kostenlose Nachrichten-Apps von Spiegel und n-tv (finanziert durch Werbung oder App-Gebühren). News sind im TV ohnehin kostenlos und wenn ich nach konkreten Themen recherchiere, bekomme ich immer irgendwo passende kostenlose Inhalte.
Dies prägt die Sichtweise der Nutzer, die sich in diesem einfachen Satz umschreiben lässt:
„Wir wollen kostenlose News!“
(Was soviel wie „Ich zahle nix! Gar nix! Niemals!“ heißt)
Und exakt zwischen diesen gigantisch unterschiedlichen Sichtweisen wird von den meisten Verlagen nun eine meterdicke Paywall installiert.
Wie sieht so eine Paywall aus?
Es gibt verschiedene Ansätze, die Leser mehr oder weniger geschickt zur Kasse zu bitten. Die folgende Übersicht zeigt die Verteilung der Zahlungsmodelle von 100 deutschen Zeitungen (Quelle: BDZV: Paid Content Angebote deutscher Zeitungen).

Die meisten Verlage setzen auf exklusive Inhalte (Freemium) oder das Metered Model – einen Standard gibt es jedoch (noch) nicht.
Jedes der Modelle hat seine eigenen Stärken und Schwächen. Für den einen Verlag mag das eine, für den anderen das andere besser passen. Die entscheidende Frage ist es aber auch nicht, welches Modell dahinter steht – das ist dem Besucher ziemlich egal.
Viel wichtiger sind die Inhalte und die gesamte Nutzerkommunikation.
Denn:
Paywall-Optimierung heißt: Die Kluft überwinden
Wir haben das grundsätzliche Problem mal in einer kleinen Zeichnung visualisiert.

Die Komplexität des Problems lässt sich ein wenig nehmen, wenn man die folgende Gegen-Hypothese zu diesem Dilemma aufstellt. Sie lautet:
Grundsätzlich ist jeder bereit, für einen relevanten Nutzen einen angemessenen Betrag zu zahlen.
Es kristallisieren sich in diesem Satz drei Worte heraus, die man als die Kern-Herausforderungen der Paywall Optimierung ansehen kann:
„relevant“
„Nutzen“
„angemessener Betrag“
Diese drei Begriffe sind es, die die Kluft überwinden müssen. Denn unterschiedliche Einstellungen und Meinungen in Verkaufs- bzw. Kaufprozessen sind keine Seltenheit. In den nächsten Abschnitten möchte ich einfache Praxistipps vorstellen, wie Verlage und Leser trotzdem zusammenkommen können.
1. Premium-Inhalte deutlich kennzeichnen
Was ist hier kostenlos, und was nicht?
Oft scheitert es bereits an dieser Frage. Auf den meisten Freemium-Newsseiten wird überhaupt nicht klar, für welche Artikel ich zahlen muss. Trotzdem fordern mich unzählige Banner permanent dazu auf, jetzt doch bitte schnell und sofort ein Abo abzuschließen. Aber wozu ein Abo kaufen, wenn gefühlt 98% der Artikel auch ohne zugänglich sind?
Beispiele, wie es besser geht:
The Wall Street Journal

Kostenpflichtige Artikel sind deutlich mit einem Schlüssel markiert. Weiterer Pluspunkt: das Angebot (das Abo) ist direkt mit dem relevanten Content verknüpft.

Gleiches Prinzip: ein Schlüssel-Icon kennzeichnet kostenpflichtige Beiträge.

Kostenpflichtige „Premiuminhalte“ sind über die ganze Website hinweg deutlich gekennzeichnet. Beim Stöbern wird der flüchtige Leser so immer wieder direkt am relevanten Inhalt an das Abo erinnert. Premium wirkt hier zudem exklusiver und wertiger als die Schlüssel/Schloss Mechanik in den Beispielen zuvor.

Die Verteilung von kostenlosen und kostenpflichtigen Inhalten wird implizit kommuniziert (hier: etwa 30% der Statistiken sind frei zugänglich).
2. Metered Model transparent kommunizieren
Ziemlich ärgerlich, wenn man im Metered Model alle „Freiklicks“ für wertlose Fotostrecken oder DPA-Kurzmeldungen verschwendet hat, bevor man den ersten wirklich interessanten Artikel lesen möchte und dann ohne Vorwarnung an die Paywall prallt.
Dann passiert genau das, was Verlage mit dem „flexiblen“ Metered Modell vermeiden wollen: ihre Leser vergraulen.
Hier kann es helfen, den Besucher zumindest darüber zu informieren, dass es mit den Freiklicks bald vorbei sein wird.
The New York Times

Ab dem 5. Freiartikel erscheint die Info, wie viele Klicks noch verbleiben.

Die Augsburger Allgemeine schafft ebenfalls Transparenz.
Unabhängig davon ob und wann die verbleibenden Freiklicks kommuniziert werden stellt sich aber die Frage, warum die Anzahl der Freiklicks überhaupt so hoch angesetzt wird?

Lars Grasemann von netzstrategen.com hat analysiert, dass bei den deutschen Verlagen mit Metered Model durchschnittlich 13 Artikel kostenlos sind. Unter der berechtigten Annahme, dass nur 2-3% der Nutzer überhaupt 10 oder mehr Artikel aufrufen, stoßen folglich auch nur 2-3% an die Paywall – von denen auch nur ein Bruchteil zu Abonnenten werden.
Kurzum: Geld verdienen lässt sich so wohl kaum.
Ursache für diese hohen Schranken sind Angst und Sorgen der Verlage. Niemand möchte sich bei seinen Lesern unbeliebt machen. Das ist ja eigentlich auch verständlich. Dennoch sollte man unbedingt die Flexibilität des Modells nutzen, und die optimale Anzahl der Freiklicks beispielsweise über A/B-Testing ermitteln.
3. Wertigkeit der Inhalte aufzeigen
Lohnt es sich überhaupt, für den Artikel Geld auszugeben?
Das ist ganz sicher die Kernfrage, die sich jeder Leser stellt. Egal bei welchen Zahlmodell.
Allein anhand der Überschrift, einem kleinen Foto und vielleicht noch einem Textschnipsel lässt sich das aber kaum beantworten.
welche inhaltliche Qualität hat der Artikel?
wie lang ist der Artikel?
ist es vielleicht nur eine Kurzmeldung?
ist die Nachricht überhaupt noch aktuell?
wer ist der Autor, hat er Kompetenz?
Das alles sind Infos, die die Wertigkeit eines journalistischen Angebots belegen und damit die Kaufbereitschaft überhaupt erst auslösen können. Die Katze im Sack will niemand kaufen.
Die Lösung:
Brechen Sie in die Paywall ein genügend großes Guckloch, das Lust macht, die Mauer mit Geld niederzureißen – Jens Mertens (zeitungsgedanken.com)
Nachfolgend ein paar Beispiele:
The Wall Street Journal

Über ein Preview kann sich der Leser einen groben Eindruck über Inhalt und Qualität verschaffen. Über Social Signals lässt sich auf die Popularität des Artikels schließen.

Auf Wunsch sind auch Informationen zum Autor verfügbar.

Die Aktualität der Beiträge wird schon auf der Startseite sofort deutlich.

Ein gutes Beispiel für eine Vorschau, die Lust auf den kompletten Inhalt macht. Die Seite liefert ein klares Bild über die Inhalte des kostenpflichtigen Berichts.
4. Qualität des journalistischen Angebots aufzeigen
Ein Abo wird natürlich nur dann interessant, wenn die Qualität immer stimmt – nicht nur bei einzelnen Artikeln. Belege dafür können sich durchaus positiv auswirken.
The Times

Die herausragende Niveau des Angebots wird selbstbewusst kommuniziert.

Echte Zahlen fördern die Glaubwürdigkeit.

Die Anzahl der Abonnenten ist ebenfalls ein Indiz für hohe Qualität.

Auch bei der Welt steht der preisgekrönte Journalismus im Vordergrund.

Weitere Vorteile sollen die Kaufbereitschaft zusätzlich fördern.
5. Finanzielle Hürde senken
Egal ob Netflix, Audible oder Spotify – Testversionen funktionieren bei digitalen Angeboten eigentlich immer. Es ist auch klar warum: der Interessent kann sich erstmal unverbindlich alles anschauen und muss dafür im besten Fall überhaupt nichts zahlen.
Zahlreiche Verlage machen bereits vor, wie es funktioniert:
The New York Times

Rund ein Euro für die ersten 12 Wochen. Zum aktuellen Zeitpunkt läuft ein A/B-Test, ob 99ct oder 1€ zu einer höheren Conversion Rate führt.

Hier soll der Nutzer mit einem individuellen, exklusiven Angebot überzeugt werden.

Der Erstzugang zum Paid Content von Bild.de kostet ebenfalls 99 Cent.

Premiuminhalte sind 4 Wochen gratis verfügbar. Weiterhin ist der Begriff Digitalpass geschickt gewählt, da die digitale Leistung dadurch ein Stück weit physisch greifbar wird und dadurch an Wertigkeit gewinnt.
6. Bezahlung möglichst einfach gestalten
Neben der Preishöhe ist es mindestens genauso wichtig, eine einfache Zahlung zu ermöglichen. Ein Münzeinwurf am Bildschirm würde für Kleinstbeträge wahrscheinlich besser funktionieren, als viele Online Zahlverfahren. Dennoch gibt es auch heute schon viele unkomplizierte Verfahren, die eine einfache Online-Zahlung ermöglichen.
Wolfsburger Allgemeine

Tagespässe können bequem per SMS-Code gekauft werden.

Die Zahlung ist hier anonym und daher schnell erledigt.

Einzelne Ausgaben können mit wenigen Klicks über Paypal gezahlt werden.

Bei test.de stehen besonders viele Zahlmöglichkeiten zur Auswahl.

Als einziger Verlag in Deutschland ist bei der taz die Zahlung freiwillig. Neben den gängigen Zahlungsmitteln kann hier auch per Flattr oder mit Bitcoins unterstützt werden.
Ausblick
Die vorgestellten Beispiele machen hoffentlich deutlich, wie die heute bestehenden Systeme optimiert werden können. Eines bleibt aber dennoch klar: die Möglichkeiten der digitalen Welt sind damit noch längst nicht ausgeschöpft.
Wo geht es hin?
Dazu ein paar grobe Ansätze, was heute schon möglich wäre:
Die Newsseite als Onlineshop

Idee: Die Zeitungswebsite als Onlineshop
Vorteile wären:
die Wertigkeit des Angebots ist schnell ersichtlich
Bewertungen erleichtern die Kaufentscheidung
personalisierte und klar strukturierte Leseempfehlungen binden den Leser
das gelernte Onlineshop-Prinzip vereinfacht die Nutzung
gelesene (bezahlte) Artikel werden klar gekennzeichnet
zuvor „versteckte“ Inhalte wie das Archiv werden sichtbar
Einige Unternehmen außerhalb der klassischen Verlagswelt gehen schon in diese oder ähnliche Richtungen:
iOS Zeitungskiosk

Gute Vorschau – komfortable Bestellung.

Auch hier können viele Zeitungen bequem per App geshoppt werden. Einzelne Artikel jedoch nicht.
Dabei ist klar, dass hier in erster Linie Apple & Google profitieren. Die Frage ist also, welcher Verlag das Prinzip Onlineshop als erster „ausprobiert“, um die Gewinne alleine einzufahren. Vielleicht ist das genau der Plan von Amazon CEO Jeff Bezoz, der 2013 für 250 Millionen US-Dollar die Washington Post gekauft hat?
Denkbar wäre auch die Einführung eines Zahlsystems, bei dem erst „später“ gezahlt werden muss.

Zahlung erst nach dem Aufbrauchen eines Budgets.
Möglich wäre das schon jetzt mit LaterPay, einem Bezahlmodell des gleichnamigen Startups aus München. Somit werden deutlich weniger Transaktionen nötig, was sich sowohl positiv auf Komfort als auch die Transaktionskosten auswirkt.

Für die spätere Zahlung stehen viele Zahlweisen zur Verfügung.
Alternativ zum Guthaben könnte auch eine Stoppuhr mitlaufen, bis ein bestimmtes Zeitkonto abgelaufen ist.
Fazit
Viele Ideen, (noch) keine Standards. In der Welt der Verlage wird sich in den nächsten Jahren vermutlich noch einiges tun. Bleibt nur die Frage, wer anfängt.
Abschließend nochmal alle Tipps in der Übersicht:
Premiuminhalte deutlich kennzeichnen
Metered Model transparent kommunizieren
Wertigkeit der Inhalte aufzeigen
Qualität des journalistischen Angebots aufzeigen
Finanzielle Hürden senken
Bezahlung möglichst einfach gestalten
Welches Modell ist in Ihren Augen das richtige? Oder ist das perfekte noch nicht erfunden? Über Kommentare, Erfahrungen und weitere Ideen freue ich mich.
Weitere Artikel und Quellen:
Wie Behavior Patterns die Abo-Verkäufe ankurbeln
Laterpay: Neues Paywall-Konzept zäumt das Pferd von hinten auf
Von Quelle lernen: Zeitungs-Portale nach Amazon-Art
Ein bisschen Paywall – warum das Metered Model keine Freude bringen wird




